Im Artikel „Streit um Microsoft: Initiative von Lehrern, Eltern und Schülern will Schulen Teams und Co. verbieten lassen – warum eigentlich?“ stellt News4Teachers die Frage, warum wir uns gegen den flächendeckenden Einsatz der MS Plattform für alle Schüler des Landes stark machen. Dabei gerät die Sachlichkeit bedauerlicherweise gelegentlich zu Lasten der Polemik etwas unter die Räder. Darum hier ein Erklärungsversuch als Replik.

Was bedeutet „Abhängigkeit“?

Nach Überzeugung der Unterzeichner darf sich ein Bundesland nicht von einem Cloud-Angebot wie MS 365 abhängig machen, das jederzeit vom Anbieter oder auf Anweisung der Regierung des Landes des Firmensitzes in der Nutzung eingeschränkt oder abgeschaltet werden könne. Wieso die US-Regierung Microsoft zwingen sollte, deutsche Schulclouds abzuschalten? Das bleibt offen.

https://www.news4teachers.de/2021/04/streit-um-microsoft-initiative-von-lehrer-eltern-und-schuelerverbaenden-will-schulen-teams-und-co-verbieten-lassen-warum-eigentlich/

Natürlich kann man Abhängigkeit ausschließlich unter dem Aspekt „Abschaltung“ betrachten, man kann jedoch auch die Abhängigkeit einer Gesellschaft von den Werkzeugen einzelner Marktteilnehmer bei der Bewältigung von Aufgaben zugrunde legen. Die im Artikel verlinkte Petition der hessischen Schüler zeigt dieses Problem in Ansätzen: Das Land Hessen scheint (anders als BW) nicht mehr in in der Lage zu sein, ohne Verwendung nicht genehmigter Cloud-Anbieter aus USA seine Aufgabe zu erfüllen – was stellt diese Situation dar, wenn nicht „Abhängigkeit“ im besten Sinne:

In Hessen gibt es dazu eine Petition von Schülern, die „die Vorzüge eines international anerkannten und verwendeten Systems durch eigene Erfahrung kennen und sie nicht mehr missen wollen“, wie es heißt.

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Und außer „abschalten“ sind auch vom Anbieter einseitige Preiserhöhungen, Änderungen des Funktionsumfangs oder der Nutzungsbedingungen durchaus Zeichen einer Abhängigkeit, wenn die eigene Verhandlungsposition so schwach ist, dass man dem nichts entgegensetzen kann.

Eine solche, mittelfristig nicht tragbare „Vendor-Lock-In“-Situation hat 2019 das CERN dazu veranlasst, die Ausrichtung seiner IT grundlegend zu überdenken und klar in Richtung digitale Souveränität auszurichten:

Ein Paradebeispiel seien Microsoft-Produkte, die am CERN seit 20 Jahren unter einer günstigen akademischen Lizenz genutzt werden konnten. Microsoft habe dem CERN jedoch vor Kurzem den Status einer akademischen Einrichtung aberkannt. Sei März 2019 müsse die Organisation daher für jeden Benutzer Lizenzgebühren zahlen, wodurch sich die Kosten um den Faktor 10 erhöhen würden. Zwar habe man mit Microsoft einen langsamen Anstieg der Kosten vereinbaren können, die hohen Gebühren seien aber für die Forschungseinrichtung langfristig nicht tragbar.

https://www.heise.de/newsticker/meldung/CERN-wechselt-von-Microsoft-zu-Open-Source-Software-4447421.html

Verantwortlichkeiten

Diese datenschutzrechtliche Verantwortung könnten Schulleitungen bei MS 365 wegen fehlender Fachkenntnisse und Analysemöglichkeiten nicht übernehmen. Wie sie die bei Produkten anderer Anbieter zweifelsfrei übernehmen sollen? Auch das bleibt offen.

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Nein, das bleibt nicht offen. Dieses Thema ist juristisch durchaus nicht trivial zu lösen, man kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass es für die in BW durch BelWue angebotenen Moodle und BBB-Instanzen gelöst ist. Als verständliche Erklärung kann die Folgende dienen: Wenn ich die Verarbeitung der Schülerdaten selbst betreibe und damit auch die gesamte Weiterentwicklung in der Hand habe, kann ich sehr genau festlegen, wie mit den Daten umgegangen wird und an wen Daten weitergeleitet werden. Ich kann die Schulen mit fertigen Verfahrensverzeichnissen und Nutzungsordnungen unterstützen. Ich kann mit der Personalvertretung allgemein gültige Rahmenbedingungen zur Nutzung in der Verwaltung festlegen. All das ist mit eingekauften Diensten großer Anbieter sehr viel schwerer und im Falle von Microsoft nach Einschätzung von Experten gar nicht möglich, weil ich letztlich gar keine Kenntnis darüber habe, wie sich das eingekaufte Produkt verhält und weiterentwickelt.

Vom Wert des Schüleraufsatzes

„Angesichts der vorhandenen Auswertungsmechanismen der amerikanischen Sicherheitsbehörden ist nicht auszuschließen, dass eine flapsige Bemerkung in einem Schulaufsatz oder auch einer Videokonferenz bei der Einreise in die USA, bei einer Bewerbung als Aupair oder bei einer US-amerikanischen Hochschule zu Problemen führen kann“, erklärt dazu der Datenschutzbeauftragte von Rheinland-Pfalz, Dieter Kugelmann. Ein konkretes Beispiel dafür gibt es allerdings nicht.

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Doch, dafür gibt es konkrete Beispiele: Bereits 2015 wurde einer Schülerin nach dem Abitur die Einreise in die USA aufgrund von Postings in Social Media Kanälen verweigert, seit 2019 haben die USA eine solche Durchleuchtung offiziell zu Ihrer Politik gemacht: Für Visa werden Social-Media-Profile fällig.

Seit den Anschlägen am 11. September 2001 wuchs die No-Fly-List der USA von 16 auf 43.00 Einträge in Jahr 2013. Die Kriterien, nach denen entschieden wird, wer auf dieser Liste auftaucht sind nicht im Detail bekannt, Indizien deuten aber auch darauf hin, dass unerwünschte Äußerungen jeglicher Art, von denen amerikanische Geheimdienste Kenntnis haben dazu beitragen können. Die routinemäßige, umfassende Überwachung praktisch aller bei amerikanischen Cloud-Anbietern gespeicherten Daten durch die amerikanischen Geheimdienste kann spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden als wenig bestrittene Tatsache betrachtet werden.

Darüber hinaus ist die durch Datensammlung stattfindende Profilbildung ein gesamtgesellschaftliches Problem: Durch die Einteilung der Nutzer in „Werbeprofilgruppen“ werden diese beeinflussbar – sowohl, was Ihre Kaufentscheidung beim nächsten Fahrradkauf angeht, als auch bei weitergehenden Fragestellungen wie politischer Einstellung oder Wahlen oder ihrer privaten Lebensumstände. Bevor nun jemand ins Feld führt, nicht an eine solche Manipulationsmöglichkeit zu glauben, sollte man sich klar machen, dass man natürlich als Linksliberaler keine Partei am rechten Rand des politischen Spektrums wählen wird (oder umgekehrt), nur weil man in der entsprechenden Zielgruppe einsortiert wurde – möglicherweise reicht es aber um die Wahl zu entschieden, dass genügend Mitglieder einer Gruppe gar nicht hingehen, weil sie den Eindruck gewinnen, sie sei sowieso bereits gewonnen oder verloren, um der „Gegenseite“ den entscheidenden Vorteil zu verschaffen.

Ein prominentes Beispiel soll an dieser Stelle auch nicht unerwähnt bleiben: Wie die Supermarktkette Target vor dem Vater von der Schwangerschaft seiner Teenagertochter wusste. An diesem Fall wird besonders deutlich, dass es sehr schwer ist, zu beurteilen, welche Folgen eine heutige Datensammlung künftig für Nutzer und Gesellschaft haben kann, da sich regelmäßig Möglichkeiten und Begehrlichkeiten zeigen, gesammelte Daten auch für Zwecke zu verwenden, für die Sie ursprünglich nicht erhoben wurden. Hier hilft nur Datensparsamkeit, und ein Anbieter von Cloud Software, der praktisch jede Mausbewegung seiner Nutzer aufzeichnet, verstößt eklatant gegen diesen in der DSVGO aus gutem Grund formulierten Grundsatz.

Und täglich grüßt der Hyperscaler…

So haben in Sachen Funktionalität die Landeslösungen bislang nicht überzeugt: Reihenweise gingen die Server unter dem erwartbaren Ansturm im Distanzunterricht in die Knie. Die Software ist häufig kompliziert, störanfällig und nicht auf dem neuesten Stand der Technik.

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Das gilt auch für Microsoft: Im Frühjahr 2020 musste MS seine Office Suite funktional einschränken, weil die Azure Cloud dem Andrang nicht mehr gewachsen war und nach den Weihnachtsferien häuften sich in BW Berichte, nach denen Teams auch nur unzuverlässig nutzbar sei. Es lohnt sich für niemanden, Ressourcen für eine derartige Ausnahmesituation vorzuhalten, solange sich das marktwirtschaftlich rechnen muss. Den zweiten Satz können wir ignorieren, er stellt eine bloße, gänzlich unbelegte Behauptung dar, da er die Definition von „neuestem Stand der Technik“ der Phantasie der Leserinnen überlässt.

Apfel? Birnen?

Auch bieten die staatlichen Schulplattformen keine Gewähr, dass dort Schülerdaten nicht abfließen. Zahlreiche erfolgreiche Hackerangriffe insbesondere zum Start des Distanzunterrichts machen deutlich, dass es mit der Sicherheit der Lösungen nicht weit her ist.

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Das unbeabsichtigte Abfließen von Daten durch einen Angriff mit der regelmäßigen Auswertung und Weiterleitung von detaillierten Überwachungsdaten an Dritte zu vergleichen, ist mehr als fragwürdig. Wenn man diesen Standpunkt aber unbedingt einnehmen möchte, muss man auch festhalten, dass Programme wie Zoom oder Teams auf dem Gerät, auf dem Sie installiert werden mitunter große Sicherheitslücken aufreißen.

Pauschal zu unterstellen, eine große Firma wie Microsoft könnte Sicherheitsrisiken besser verhindern, als eine digital souveräne Lösung in einem Landesrechenzentrum, zeugt von umfassender Ahnungslosigkeit oder sehr schlechtem Überblick, wenn man bedenkt dass die größten Sicherheitsprobleme der vergangenen Jahre von StuxNet bis Emotet auf die Unfähigkeit von Microsoft zurückzuführen sind, die in seinen Produkten vorhandenen Sicherheitslücken zeitnah zu beheben.

Aha.

„Wer in Baden-Württemberg Arbeitsplätze und Know-how sichern will, sollte vorrangig heimische Unternehmen einbinden und deren Produkte bei der Bildungsplattform einsetzen.“ Im baden-württembergischen Walldorf sitzt das weltweit drittgrößte börsennotierte Software-Unternehmen: Microsoft-Konkurrent SAP.

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Selbst als hartgesottener Anhänger von Verschwörungstheorien muss man sich hier etwas anstrengen um einen Zusammenhang zu konstruieren wenn man versucht das Hauptgeschäftsfeld von SAP im Zusammenhang mit einem Online Arbeitsplatz sehen zu wollen.

Fazit

Es bleibt nur eine Frage: Warum schreibt man so was ins Internet? Ein sinnvoller Debattenbeitrag ist das leider eher nicht. Schade, News4Teachers, da hätte ich mehr erwartet.

Replik: Warum es unklug ist, auf MS als Schulplattform zu setzen

6 Kommentare zu „Replik: Warum es unklug ist, auf MS als Schulplattform zu setzen

  • 28. April 2021 um 14:40 Uhr
    Permalink

    ich bin begeistert, wie der Autor die Punkte aufgreift.
    Da kann man auch für Situationen außerhalb des Bildungsbereichs dazu lernen.

    Antworten
  • 2. Mai 2021 um 12:01 Uhr
    Permalink

    Topp! Genau solche passend zusammengestellten Argumente mit Beleg braucht es, um die fadenscheinigen Argumente von MS-Befürwortern zu widerlegen.
    Danke!

    Antworten
  • 4. Mai 2021 um 12:57 Uhr
    Permalink

    Heute verkündet das KM die teilweise Einstellung von BelWue sowie die Migration von Moodle auf bislang unbekannte Dienstleister: https://km-bw.de/,Lde/startseite/service/2021-05-03-stellungnahme-zur-refokussierung-von-belwue
    Vielleicht einfach mal die Realität anschauen: Die Behauptung, man sei abhängig, weil Microsoft Teams abschalten könne ist schon allein deswegen Unfug, weil sie Umsatz machen wollen. Realität hingegen ist, dass das Gegenteil der Fall ist. Warum im übrigen? Der Staats kriegts nicht gebacken, die Serverkapazitäten reichen nicht, BelWue ist nicht ausreichend rechtlich abgesichert.
    Ich bin gerade so richtig froh, dass unsere Schule sich von BelWue nahezu vollständig verabschiedet hat und mit MS 365 auf ein Profiprodukt setzt. Microsoft liefert immerhin (von den ständigen Problemen und Abstürzen von Moodle / BBB wollen wir ja diesmal gar nicht reden).
    Denn: Alle Argumente von News4teachers stimmen, wohingegen die Argumente hier der Realität nicht mal zwei Wochen standhalten.

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    • 4. Mai 2021 um 16:03 Uhr
      Permalink

      @Karsten Jung

      Keine Schule muss ihr Moodle „auf unbekannte Dienstleister“ migrieren, das geht sowohl aus der Mitteilung von BelWue als auch aus der von Ihnen verlinkten PM des Kumi ganz klar hervor. Betroffen ist lediglich das Hosting der schulischen Webauftritte (also Homepages u.ä.). Dieses Problem löst auch MS365 nicht.

      Mir ist unklar, warum Sie es in Ihrem Kommentar also so aussehen lassen, als ob jetzt jede Menge Schulen vor einem Ausfall ihrer Lernplattform stehen würden, denn das stimmt nicht.

      Ich habe im Beitrag ausführlich dargelegt, dass „abschalten“ nicht das Problem ist, womit ihr ganzer Kommentar ein wenig ins Leere geht, beziehungsweise lediglich eine weitere Wiederholung des verbreiteten Standpunkts „[Produkt X] funktioniert super, lasst uns alle anderen Aspekte ignorieren“ darstellt.

      Letztlich hat es BelWue seit vielen Jahren sehr gut geschafft, die Schulen mit zuverlässigen Diensten „mitzuversorgen“, und auch in der Corona Situation hat BelWue in der Summe einen guten Job gemacht. Ich bin froh, dass ich an einer Schule arbeiten darf, die ihre Schüler nicht für Microsoft und Apple als Zwangskunden rekrutiert.

      Im Übrigen stehen bei N4T keine Argumente, sondern „Fragen“, die ich im Beitrag oben auch weitgehend beantwortet habe. Es wäre schön gewesen, wenn Sie das gelesen und verstanden hätten, bevor Sie ihre Meinung hier in den Kommentaren hinterlassen.

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  • 11. Mai 2021 um 11:14 Uhr
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    Gilt dieses Thema auch für Landesbehörden, Gemeindeverwaltungen etc? Stellen diese auch ab September auf LibreOffice um?

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    • 6. Juni 2021 um 10:18 Uhr
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      Diesen Kommentar verstehe ich nicht wirklich – soll das ironisch sein? Ernsthafte Antwort: Es wäre sicher sinnvoll, wenn sich auch Behörden und Verwaltungen von MS Produkten und proprietären Dateiformaten lösen würden. Es gab und gibt ja auch Beispiele, wo das durchaus gelungen ist, durch die massive Beeinflussbarkeit der politischen Kaste durch Lobbyisten ist – wie im Bildungsbereich auch – bedauerlicherweise eine wirklich zielorientierte Entwicklung hin zu digitaler Souveränität sehr schwierig.

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