Der Kontrabass und die Medienkonvergenz …

Eine Glosse

Immer sachlich bleiben, durchatmen. Und nochmal durchatmen. Auch wenn es schwer fällt.

Medienkonvergenz. Hier scheint sich ein neues Modewort heraus zu kristallisieren. Soll damit eine Realität beschrieben werden, kann das Wort hilfreich sein. Soll jedoch unter Aushöhlung der Bedeutung damit eine Entwicklung angestoßen und begründet werden, kann es schnell hohl werden. Keinesfalls reicht allein der Wohlklang des Wortes aus, um daraus ein Argument zu basteln.

Der Hintergrund: Sitze ich doch jüngst in einer Entwicklungssitzung zum digitalen Lernmanagement in einer Bildungseinrichtung. Schneller als man Luft holen konnte, war die Luft im Raum veratmet: „Wir brauchen MS 365, ohne das kann es nichts werden, die Schüler brauchen das, die Schüler verstehen das, die Lehrer können nicht ohne, …“ Schon nach vier Minuten stand der CO2-Platitüden-Alarm auf „Lüften seit 15 Minuten überfällig“. Zäh aber präzise wurden Schritt für Schritt die unzähligen Unterschiede zwischen einer Kommunikationsplattform für Unternehmen und eines anspruchsvollen Lernmanagementsystems heraus seziert. Es kostete Zeit und Geduld, aber Schritt für Schritt wurde klar: Es gibt sie wirklich, die Unterschiede. Lediglich in wenigen Ecken des Raumes waren die Belichtungsverhältnisse etwas schwächer, die Unterschiede waren dort nur wenig sichtbar.

Ich will an dieser Stelle gar nicht von den 26 weiteren Argumenten, die MS 365 als Teil der schulischen Infrastruktur verbieten, anfangen. Nein, ich fange jetzt nicht von flachdimensionaler Prägung, Geilheit auf Daten, Ihrer Nutzung und Verknüpfung etc. etc. an.

Das Ende der Sitzung schien sich anzubahnen, eigentlich war alles gesagt und durchdrungen. Das Gros der Runde hatte sich auf ein professionelles Vorgehen geeinigt und wollte demzufolge mit Moodle – dem LMS-Platzhirsch am Ort – in die Zukunft gehen.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, wurde aus einer Ecke des Raumes noch ein Ass ausgeärmelt. Ein scharfes Schwert mit der argumentativen Kraft einer Wasserbombe, ein finaler Fehdehandschuh. Er wurde keck, wild und mutig in die Mitte der Diskussion geworfen, um die Entscheidung doch noch einmal auf den Boden der schieren und banalen Tatsachen herunter zu ziehen: Medienkonvergenz! Die SuS brauchen M~e~d~i~e~n~k~o~n~v~e~r~g~e~n~z! Das Wort waberte voller Klang um unsere Ohren. Es erfüllte den Gesprächsraum wie der satte, volle Sound eines Kontrabasses. Allein die Schallwellen dieses Wortes rissen den Anwesenden die Augen auf. Medienkonvergenz. Medienkonvergenz! Medienkonvergenz! Das Wort war starr und eingemeißelt in den Gesichtern der Anwesenden zu lesen, es wehte durch ihre aufgewirbelten Gedanken.

Pause. Durchatmen. Nachdenken.

Medienkonvergenz? Medienkonvergenz?? Medienkonvergenz??? Die Sezessionsarbeit wurde erneut aufgenommen. Schritt für Schritt zeigte sich: Der Kontrabass klingt toll, ist aber hohl. Wer mit dem neuen Schlaumaierwort noch nichts verbindet, der mache sich kurz und rudimentär schlau beim vorletzten Rettungsanker Wikipedia.

Sicher ist: Konvergenzförderung gehört nicht zu den Aufgabenfeldern der Schule. Wer mit etwas Horizont Bildungspläne lesen kann und ein klein wenig „Bildungsauftrag“ in seinen Adern verspürt, dem ist das genaue Gegenteil Pflicht. Konvergenz als unreflektiertes Credo führt regelmäßig und in vielen Kontexten zu unguten Entwicklungen.

Die Aufgabe der Schule ist es, Breite, Vielfalt, Horizonte, Bildung zu vermitteln. Den Umgang damit, die Durchdringung dessen, das Zusammengehen und die befruchtende Kraft zu lehren. Es geht nicht um ein „bissle Hipster-Pseudo-IT-Akrobatik“. Hallo! Es geht um Bildung. Konvergenz und Bildung gehen eben nur schwerlich zusammen. Und wenn doch … ja, dann liegt es wohl nicht am Sachverhalt.

Sorry, einer noch: Wer käme auf die Idee – sagen wir mal im Fach Deutsch – das Wort Konvergenz in einem pädagogisch-didaktisch-methodischen Kontext auch nur anzudenken? Naja, wenn es solche Personen gibt, dann sind sie zum Glück nicht am Ruder der pädagogisch-didaktisch-methodischen Entwicklung. Auch Sprachbildung lebt von Vielfalt. Die FAZ, die TAZ, die Beschreibung einer Waschmaschine, Faust, Kafka, Jünger, das eigene Schreiben, das Texte zerlegen, auch mal die BILD, Chatdiskurs versus Sprachdiskurs, die Debatte, Theaterbesuche – all das und noch viel mehr ist Teil einer Auseinandersetzung, einer Beschäftigung mit Sprache und ihrer Fülle. Die Divergenz des sprachlichen Ausdrucks muss erarbeitet und vielfältig durchdrungen werden. Diese Breite kann dann Teil der Bildung unserer Schüler:Innen werden. Der breite Ansatz von Bildung ist das Gegenteil einer begrenzenden und begrenzten „Vorab-Konvergenz“. Nein, Medienkonvergenz führt nicht zu Medienbildung und nicht zur Bildung im Digitalen. Und wenn jetzt noch ernsthaft jemand über Konvergenz im Sinne von Synergiegewinnen sprechen möchte – ok, dann später gerne.

Liebe Verfechter von MS 365, Ipads oder Google-Classroom: Ich kann nachvollziehen, dass Sie MS 365, Ipads oder Google-Classroom mögen, ich kann nachvollziehen, dass Sie damit gut zurecht kommen. Das ist ganz sicher eine notwendige Bedingung für guten Unterricht im digitalen Raum.

Eine hinreichende Bedingung ist dies auf keinen Fall. Weder begründet noch rechtfertigt dies, dass Schüler:Innen in den Clouds von Microsoft, Apple oder Google digital abgebildet werden.

Lernmanagementsysteme wie Moodle können viel, viel, viel mehr. Pädagogisch-didaktische Situationen im digitalen Raum sind weit komplexer, als dass diese durch die intuibanalen Werkzeuge einer Software für Unternehmenskommunikation ausreichend abgebildet werden könnten. Mit guten, quelloffenen und transparenten Lernmanagementsystemen stärken wir unsere Schüler:Innen in einer Zeit, in der immer mehr Akteure durch nicht neutrale digitale Geräte und Anwendungen hindurch nach der Aufmerksamkeit, nach den Daten und nach dem Verhalten unserer Kinder und Jugendlichen greifen.

Der Kontrabass und die Medienkonvergenz …

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