Im Nachgang zu der Bildungsausschusssitzung vom 09. Juli wurde eine Mail an alle Ausschussmitglieder und deren Vertreter versendet.
Nachdem dieser Brief nun auch in einem Artikel in der Südwestpresse („Front gegen Microsoft“ von Axel Habermehl, SWP 5.8.2020. Z.B. noch hier oder hier nachzulesen) Erwähnung gefunden hat, veröffentlichen wir ihn an dieser Stelle im Wortlaut.


Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

als Bürger und digital affine Lehrkräfte unterschiedlicher Schularten wenden wir uns aus Sorge um eine zukunftsfähige digitale Bildung in Baden-Württemberg an Sie. Wir alle schätzen unser Schulsystem für seine breite, solide und vielgestaltige Bildung, die es schon länger auch auf den Bereich der digitalen Kompetenzen und unter Einbeziehung moderner, digitaler Werkzeuge auszudehnen gilt.

Nach dem Scheitern der elektronischen Lehr- und Lernassistenz „ella“ gibt es in Baden-Württemberg nun erneut Pläne zur Implementierung einer digitalen Bildungsplattform. Der Sitzung des Ausschusses für Kultus, Jugend und Sport [1] am 09.07.2020 war zu entnehmen, dass die zuständige Stabsstelle Produkte des Unternehmens Microsoft für das digitale Lernen unserer Kinder und Jugendlichen präferiert.

Wir halten diesen Ansatz für grundlegend falsch. Die der Öffentlichkeit und dem Ausschuss gebotene Darlegung des Projektstands, insbesondere die Begründung der Entscheidung, wird deren Tragweite bei weitem nicht gerecht, auch wenn man von irreführenden Aussagen absieht. Die Gründe dafür wollen wir im Folgenden darlegen.

Warum halten wir den derzeitigen Ansatz zur Umsetzung der Bildungsplattform für falsch?

  • Weil die Umsetzung zur einseitigen Prägung der Kinder und Jugendlichen führt.
    Ist es sinnvoll, die Schülerschaft über ihre gesamte Schulzeit hinweg vor dem immer gleichen digitalen Setting einer einzelnen Firma zu wissen? Nein, denn unsere Kinder und Jugendlichen verdienen mehr, nämlich ein vielgestaltiges, breites und durchdachtes digitales Umfeld. Aufgabe von Schule ist es, Prinzipien zu vermitteln und Alternativen aufzuzeigen. Nur so werden digitale Kompetenzen – auch Urteilsfähigkeit – ausreichend gefördert. Nur so sind unsere Kinder und Jugendlichen in der Lage, adäquate digitale Werkzeuge auszuwählen und selbstbestimmt einzusetzen. Andernfalls entsteht dauerhafte Abhängigkeit im digitalen Handeln, was weder gesellschaftlich noch ökonomisch anzustreben ist.
     
  • Weil wir im Schulsystem keine neuen Produktabhängigkeiten schaffen dürfen.
    Die Abhängigkeiten der Informationstechnik von sogenannten „global players“ ist längst als zentrales Problem und Hindernis bei der Weiterentwicklung von Plattformen erkannt worden. Auch die digitalen Anforderungen an das System Schule entwickeln sich weiter. Wir sollten uns dementsprechend nicht von vornherein in die Abhängigkeit einer Firma mit einem für uns nicht beeinflussbaren Gesamtkonzept begeben. Wir müssen gerade im Bildungsbereich unsere Handlungsfähigkeit bewahren.
     
  • Weil Kinder und Jugendliche unsere Zukunft sind.
    Sie zu schützen sollte im Mittelpunkt unserer Entscheidungen stehen. In der Schulzeit fallen im digitalen Zeitalter unzählige Daten an: Lerndaten, Bewertungsdaten, die Verschriftlichung von Meinungen, privatester Gedanken und persönlichster Gefühle. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass diese, einen Menschen weitgehend erfassenden Daten, ausschließlich für schulische Zwecke verantwortungsbewusst verwendet und verarbeitet werden. Eine Garantie dafür – und das nicht nur auf geduldigem Papier, – ist allein die Bereitstellung und Verarbeitung auf landeseigener bzw. selbst kontrollierter Infrastruktur.
     
  • Weil wir unsere digitale Zukunft selbstbewusst und eigenständig gestalten wollen.
    Wir sind das Land der Denker, Tüftler, Schaffer und Macher. Ein Land, das eine Vorreiter-Rolle in der Automobilindustrie spielte. Ein Land, das bei vielen anderen Technologien mit Mut und Phantasie vorangeschritten ist. Wir können auch beim Thema Digitalisierung einer solchen Rolle gerecht werden. Dazu müssen wir aber das digitale Fundament bereits in der Schule legen und dazu den Aufbau der fehlenden, aber längst überfälligen Säule unserer Wirtschaft – nämlich einer Informatikbranche auf Augenhöhe mit anderen Staaten – vor Ort fördern.
     
  • Weil die Zukunft längst der Transparenz und Freier Open-Source-Software gehört.
    Die Bundesregierung sowie zahlreiche Bundesländer und Kommunen haben den sogenannten „Vendor Lock-in“ als zentrales Problem erkannt und versuchen, sich aus der Abhängigkeit großer Konzerne zu lösen [2]. So möchte u.a. Schleswig-Holstein bis zum Jahr 2025 vollständig aus der Abhängigkeit von proprietärer Software aussteigen und setzt auf Open-Source-Produkte [3].Baden-Württemberg hingegen marschiert mit seinen derzeitigen Plänen für eine Bildungsplattform in die diametral entgegengesetzte Richtung und das, obwohl Herstellerabhängigkeit schon vor Jahrzehnten als Problemfeld erkannt wurde. Diese Abhängigkeit nun schon im Bildungssystem und damit für die kommenden Generationen fest zu verankern ist ein gravierender Fehler. Es verwundert nicht, dass Hersteller nichts unversucht lassen, um hier massiv Einfluss zu gewinnen.Dabei gibt es schon heute viele zukunftsweisende Projekte. Dazu gehören BigBlueButton, Nextcloud und Moodle, um nur die bekanntesten Systeme zu nennen. Diese Dienste haben sich – nicht erst in den letzten Wochen – hervorragend bewährt. Zudem existieren Konzepte, wie diesen Projekten ein Rahmen und eine solide Basis gegeben werden kann, sodass alle Schulen daran teilhaben und unabhängig vom Personal vor Ort davon profitieren können.

Vor dem Hintergrund dieser Argumente bitten wir Sie, sich im Sinne einer modernen, zukunftsfähigen und souveränen digitalen Bildung kritisch mit der derzeitigen Umsetzungsstrategie zu befassen und Einfluss auf den aktuellen Prozess zu nehmen. Noch ist Zeit, diese weitreichende Fehlentscheidung gegen eine offene und souveräne Bildungsplattform abzuwenden.

Wir stehen Ihnen gerne jederzeit für Informationen, Fragen und zur weiteren Diskussionen zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns unter team@digital-souveraene-schule.de .

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

 

[1] https://www.landtag-bw.de/home/mediathek/videos/2020/20200709bildungsa1.html
[2] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2019/09/digitale-souveraenitaet-oeff-verwltg.html
[3] https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/V/Presse/PI/2020/0620/200619_opensource.html

Der Brief an die Abgeordneten des Bildungsausschusses

4 Kommentare zu „Der Brief an die Abgeordneten des Bildungsausschusses

  • 10. August 2020 um 11:20 Uhr
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    Diese digitale Querdenkerei geht mit keiner Silbe auf die zentrale Frage ein: Welche Lösung ist mit welchem Zeitaufwand und welchen Kosten landesweit zu realisieren? Stattdessen unbelegtes Raunen, eine verfüg- und skalierbare Lösung verdürbe unsere Jugend. Muss das sein?

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    • 12. August 2020 um 19:24 Uhr
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      Hallo Sven!

      1) Aus meiner Sicht ist argumentativ – auch auf diesen Seiten – ganz klar dargelegt, warum die (alleinige) Nutzung der Monopolistenlösung in mehr als einem Aspekt objekiv schädlich ist, sowohl was die Medienkompetenz unserer Schüler:innen als auch was die digitale Souveränität unserer Gesellschaft als ganzes angeht.
      2) Es gibt eine funktionierende (landesweite) Basis mit Moodle/BBB, sehr viele Schulen haben ihre Mailadressen bereits bei Belwue. Viele Schulen haben damit auch in der Corona Krise sehr erfolgreich unterrichtet. Diese Basis könnte man problemlos um weitere Dienste ergänzen.
      3) Warum muss das eine einheitliche Lösung fürs ganze Land sein? Was spricht dagegen, dass eine Schule sich aus entsprechenden Modulen ihren Werkzeugkasten zusammenstellt? Dann wird es wenigstens genutzt. Es würde mich zum Beispiel sehr interessieren, wie viele Schulen Threema tatsächlich nutzen (sich also Lizenzen für Ihre Schüler:innen gekauft haben) – ich denke, da ist das Ergebnis ernüchternd. Das ist zwar jetzt eine „landesweite“ Lösung und man kann das in die Zeitung schreiben, diese Lösung löst aber für fast niemand ein Problem.

      Im übrigen finde ich deine Wortwahl („Querdenkerei“, „unbelegtes Raunen“) einer sinnhaften Diskussion nicht zuträglich. Und um deine Frage zu beantworten: Ja, der Widerstand muss sein, um möglichst zu verhindern, dass man allen im Land den kleinsten gemeinsamen Nenner „überstülpt“ und alle Schüler:innen des Landes in einem Alter zu Kunden eines Monopolisten macht, in dem diese kognitiv überhaupt keine Möglichkeit haben, die Konsequenzen zu übersehen.

      VG Frank

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  • Pingback:Das bessere Konzept – Digital Souveräne Schule

  • 21. August 2020 um 16:02 Uhr
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    Als Leser der Südwestpresse Ulm, habe ich mich über den Plan der baden württenbergischen Kultusministerin aufgeregt und überlege mir einen saftigen Beschwerdebrief an Frau Dr. Eisenmann zu schreiben.
    Auch ich bin empört über den Plan, die Schulen von Microsoft abhängig zu machen.
    Bei meiner Internet Recherche bin ich auf den Blog von Mike Kukez gestoßen ,
    https://www.kuketz-blog.de/kommentar-microsoft-google-apple-und-co-aus-bildungseinrichtungen-verbannen/
    Der Text stellt umfassend dar, warum das Vorgehen der Kultusministerin strikt abzulehnen ist.

    Gerhard Maßler

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